Lektorenausbilder und Plagiatsprüfer Evgenij Unker berichtet über einen Gerichtsprozess.

Es geht um die Prüfung einer Doktorarbeit auf Plagiate und einen Streit um das Honorar dafür. Es geht auch um die Frage, wer wen betrügt. Und um Vorurteile, mit denen wir uns selbst betrügen.

Am Ende fasst der Sprach- und Textprofi die wichtigsten Erkenntnisse zusammen – als Inspiration für andere Selbständige.

Plagiatsprüfung – Alltagsgeschäft für Lektorat Unker

Eine Anwaltskanzlei beauftragte Lektorat Unker im November 2020 mit der Plagiatsprüfung einer deutschsprachigen Doktorarbeit.

In dem E-Mail-Wechsel erklärte ich dem Kunden den üblichen Ablauf in drei Schritten:

  1. Formale Vorprüfung und erste Einschätzung weiterer Recherche-Chancen.
  2. Erfassung des Textes und maschinelle Plagiatsprüfung.
  3. Manuelle oder maschinelle Recherchen in weiteren Quellen.

Genauer beschreibe ich die Vorgehensweise hier: https://www.unker.com/de/plagiat-check/dissertation. Die Chancen und Grenzen der maschinellen Plagiatsprüfung sind hier nachzulesen: https://www.unker.com/de/maschinelle-plagiatspruefung.

Insgesamt waren also 1.914,00 Euro zu zahlen. Die Hälfte – 957,00 Euro – überwies der Kunde als Anzahlung. Die andere Hälfte war laut Rechnung innerhalb von vierzehn Tagen nach Fertigstellung fällig.

Im Februar 2022 war die maschinelle Prüfung abgeschlossen und im April 2021 auch unser Gutachten. In beiden Fällen erhielt der Kunde das Ergebnis direkt per E-Mail zugeschickt.

Der Klassiker – der Kunde zahlt nicht

Der Kunde verweigerte trotz zweimaliger Mahnung die Zahlung der Restsumme.

Seine Begründung: Von insgesamt 175 Quellen, die im Inhaltsverzeichnis der überprüften Doktorarbeit aufgeführt sind, seien laut meinem Gutachten 164 englischsprachig.

Diese konnten bei der maschinellen Prüfung nicht berücksichtigt werden. Damit seien 93 % der relevanten Quellen nicht erfasst und der Auftrag nur zu 7 % erfüllt. Damit sei der Plagiatsprüfungs-Auftrag insgesamt als nicht erfüllt anzusehen.

Die Doktorarbeit habe vor Auftragserteilung vorgelegen. Ich hätte den Kunden im Vorfeld darüber informieren müssen, dass die meisten Quellen englischsprachig seien.

Dies mache den gesamten Auftrag unsinnig. Der Kunde hätte ihn in Kenntnis der Sachlage nicht erteilt.

Der Kunde verzichte auf die Rückforderung der überwiesenen Anzahlung lediglich „kulanterweise“, „da uns die klageweise Eintreibung zu mühsam ist“.

Typisch Anwalt

Was denn nun: aus Kulanz oder zu mühsam? Ist der Auftrag zu 7 % erfüllt oder gar nicht?

So eine absurde Ausrede hatte ich noch nie gehört.

Aber gut, dachte ich: klassischer Fall. Der Kunde will nicht zahlen und sucht nach Ausreden.

Ich habe ja selbst ein paar Semester Jura studiert und weiß: Anwälte sind genauso spitzfindig wie Lektoren und finden an allem etwas auszusetzen.

Außerdem spekulieren einige freche Nicht-Zahler darauf, dass man sie nicht verklagt. Klagen ist mühsam, kostet erst einmal Geld und dauert im schlimmsten Fall Jahre.

Da passt es schon sehr gut ins Bild, dass der Anwalt selbst auf die Mühe verweist, die ein solcher Prozess verursacht – selbst für ihn als Anwalt.

Im Einsatz für Transparenz und Klarhiet

Ich selbst propagiere in meinen Lektoren-Ausbildungen eine konstruktive, möglichst wertungsfreie und eindeutige Kommunikation.

Ich mag bei mir denken, was ich will. Nach außen kommuniziere ich professionell und lösungsorientiert.

Ich schreibe dem Kunden also eine aufklärende E-Mail, in der ich die Sachlage nach bestem Wissen und Gewissen erläutere:

  1. Bei der Begutachtung handelt es sich um einen Dienstvertrag. Geschuldet wird kein bestimmtes Ergebnis, sondern die Arbeitszeit.
  2. Der Sinn der formalen Vorprüfung und Beratung ist unter anderem die Sichtung des Literaturverzeichnisses. Die Feststellung der Anzahl fremdsprachiger Quellen ist das Ergebnis der beauftragten Prüfung, nicht die Voraussetzung dafür.
  3. Die hohe Anzahl englischsprachiger Quellen macht die maschinelle Prüfung einer deutschsprachigen Doktorarbeit nicht unsinnig. Zwar ist es richtig, dass die gängigen Plagiatsprogramme zum Auftragszeitpunkt nur nach Übereinstimmungen mit Quellen in derselben Sprache suchen können. Doch sind Plagiate gerade dadurch definiert, dass die Originalquelle nicht oder nicht korrekt angegeben wird. Der Autor kann also Quellen verwendet haben, die nicht im Literaturverzeichnis auftauchen. Und diese Quellen können auch deutschsprachig sein.
  4. Eine Plagiatsprüfung ist ein mehrschrittiger Prozess. Weitere Prüfungsschritte sind jederzeit möglich: etwa manuelle oder maschinelle Prüfung der englischen Quellen oder der zahlreichen Abbildungen ohne Quellenangaben. Weitere Prüfungsschritte dieser wurden allerdings bisher nicht beauftragt und können daher nicht eingefordert werden.
  5. Die vereinbarten zwei Prüfungsschritte (Vorprüfung und maschinelle Prüfung) wurden vereinbarungsgemäß zu 100 % erfüllt. Damit ist das volle Honorar fällig. Der Kunde kann sich nicht damit herausreden, dass ihm das Ergebnis der Begutachtung missfällt.

Diese Argumente überzeugten den Kunden nicht. Er weigerte sich weiterhin, zu zahlen.

– die Klage

Ich übergab die Sache direkt im November 2021 an meinen Anwalt.

Wegen der Pandemie und anderer Prozesse konnte dieser das gerichtliche Mahnverfahren erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist im Dezember 2023 einleiten. Die Anwaltskanzlei widersprach dem Mahnbescheid und so kam es zum regulären Verfahren.

Mein Anwalt übernahm komplett meine Argumentation und bekräftigte sie noch einmal juristisch:

Das Dienstleistungsrecht kennt keine Gewährleistungsansprüche. Auch im Falle einer – in diesem Fall hypothetischen – Schlechtleistung bleibt der Vergütungsanspruch in voller Höhe bestehen.

Der Auftraggeber (juristisch: der „Dienstberechtigte“) hat lediglich die Möglichkeit, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Dies ist aber nicht geschehen. Weder eine Schlechtleistung noch ein Schaden liegen hier vor.

Insgesamt war die Klagebegründung kaum länger als zweiten Seiten, was nach meiner Prozess-Erfahrung schon als extrem kurz gelten kann.

Chaos stiften als Verhandlungsstrategie – die Klageerwiderung und die Widerklage

Die Klageerwiderung – also die Antwort der Gegenseite – war stolze zehn Seiten lang … und war der Hammer. Kurz zusammengefasst:

  • Ich sei ein Betrüger, und das im strafrechtlichen Sinne. Ich hätte vorgetäuscht, eine Plagiatsprüfung vornehmen zu können, die gar nicht möglich gewesen sei.
  • Begründung wie gehabt, diesmal mit der Ergänzung, dass nicht einmal die „restlichen 7 %“ der Plagiatsprüfung möglich gewesen seien. Die Doktorarbeit sei von 1993. Demnach sei nicht zu erwarten, dass einschlägige ältere Quellen über die Suchmaschinen mit der Plagiatssuchsoftware durchsucht werden könnten.
  • Die restlichen Seiten füllt der Kunde mit – durchaus zutreffenden – Ausführungen darüber, was ein Plagiat ist, wie anspruchsvoll eine Prüfung darauf ist und mit – weniger zutreffenden – Analogien zur Programmierung und Prüfung einer Airbus-Software, bei der der Programmcode zu 93 % auf Englisch und zu 7 % auf Deutsch geschrieben ist. Wie bitte?
  • Deswegen wolle er den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten. Diese sei damit nichtig.
  • Zudem erhebt er Widerklage auf Rückerstattung der bereits geleisteten Vorauszahlung in Höhe von 957,00 Euro.
  • Er sei allerdings auch zu einem Vergleich bereit: Er verzichtet auf die Widerklage und die strafrechtliche Klage wegen des Betrugs. Dafür soll ich auf die von mir geforderte Restzahlung verzichten.

Ein genialer Move, denke ich mir: einen (vermeintlich) juristisch unbedarften Menschen mit einer – völlig abstrusen – strafrechtlichen Klage-Androhung einzuschüchtern und dann großzügig auf die Klage zu verzichten.

Am Ende soll ich mich auch noch beschenkt fühlen, indem ich auf meine volle Honorarforderung verzichte.

Erwiderung auf die Widerklage

Zu den schon genannten Argumenten stellten unser Anwalt und ich klar:

  • Es ist sehr wohl zu erwarten, dass bei den gängigen Suchmaschinen auch und gerade ältere Quellen zu finden sind. Die Digitalisierung schreitet voran und solche Anbieter wie Google Scholar stellen immer größere Mengen (auch und gerade älterer) wissenschaftlicher Literatur öffentlich zur Verfügung. Es spielt also für die Sache keine Rolle, aus welchem Jahr die geprüfte Arbeit ist.
  • Im Übrigen gilt auch hier: Niemand kann vor der Prüfung wissen, ob und welche anderen relevanten Quellen online zugänglich sind. Das herauszufinden ist gerade der Sinn einer solchen maschinellen Prüfung.
  • Weder eine Täuschung noch ein Betrug liegen hier also vor. Im Übrigen ist die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung lediglich innerhalb eines Jahres möglich, nachdem man von der Täuschung erfahren hat (§ 124 Abs. 1 BGB). Diese Frist ist bereits abgelaufen.

Es kommt immer anders, als du denkst – die Hauptverhandlung

Kompliment an das Amtsgericht Mainz: Die mündliche Verhandlung findet online statt. Deutschland ist im 21. Jahrhundert angekommen!

Der Termin findet am 12.06.2025 statt – fast fünf Jahre nach der ersten Anfrage des Kunden.

Ich stelle mich auf einen aggressiven, skrupellosen Taktierer als Prozessgegner ein. Jemanden, der lieber bewusst Verwirrung stiftet, als zur Klärung des Sachverhalts beizutragen. Jemanden, der hofft, aus dem so erzeugten Chaos Vorteile für sich herauszuschlagen. Ich erwarte also eine erbitterte, lange Verhandlung.

In der Sache brauche ich mir keine Gedanken zu machen. Ich führe seit Jahren Plagiatsprüfungen durch, habe hunderte Texte überprüft und schon den einen oder anderen Plagiator entlarvt. Ich weiß, was ich tue.

Die gesamte Kommunikation mit dem Kunden habe ich pedantisch dokumentiert. Sie liegt allen Beteiligten vor. Mein Anwalt gehört zu den besten, die ich kenne. Er ist immer top vorbereitet, sowohl juristisch als auch in der Sache. Und doch führe ich nicht jeden Tag Prozesse und bin leicht aufgeregt, bevor es losgeht.

Und dann kommt es ganz anders. Die Sitzung dauert nach Gerichtsprotokoll insgesamt gerade einmal 22 Minuten.

Mindestens die Hälfte der Zeit braucht der Prozessgegner, bis er die Technik im Griff hat und uns hören kann.

Eine gütliche Einigung schließen mein Anwalt und ich sofort aus – bei diesem Streitwert lohnt es sich sonst nicht: Die Prozesskosten wären sonst zu hoch und wir müssten einen Teil davon übernehmen. Wir wollen also eine Gerichtsentscheidung.

Der Beklagte räsoniert anschließend fünf Minuten lang darüber, dass ich ein Betrüger sei. Die Frist von einem Jahr hätte ich bewusst vor Einreichung meiner Klage abgewartet, damit er den Vertrag nicht mehr anfechten kann.

Ich bin baff: Der Mann scheint absolut ehrlich daran zu glauben, was er sagt.

Und dann geht es ganz schnell. Die Richterin stellt klar:

Es handelt sich um eine Zivilklage, nicht um ein Strafverfahren. Ob hier Betrug vorliegt, steht gar nicht zur Debatte.

Der Auftrag ist zudem exakt gemäß der Vereinbarung erfüllt. Dies sei ausreichend dokumentiert. Anderes habe der Beklagte nicht vorgetragen.

Wolle der Herr Anwalt nicht seine Widerklage zurücknehmen und die Forderung anerkennen, um den Prozess abzukürzen und die Prozesskosten für ihn selbst zu reduzieren?

Ja, damit sei er einverstanden, sagt der ältere völlig unerwartet. Die Richterin diktiert das Ergebnis auf Band und damit ist der Prozess beendet.

Der Beklagte ist ein Herr im fortgeschrittenen Alter. Ganz und gar kein junger, frecher, skrupelloser Anwalt, den ich mir vorher ausgemalt hatte. Offenbar ist er nicht nur mit der Technik überfordert. Ihm ist es nicht möglich, die Erläuterungen auf der Website von Lektorat Unker, im Angebot sowie den anschließenden E-Mails und Gerichtsakten zu folgen – ob aus Altersgründen oder aufgrund seiner emotionalen Verblendung.

Er ist der Überzeugung, betrogen worden zu sein, absolut aufrichtig.

Wenige Tage später erreicht uns das schriftliche Urteil: Der Beklagte muss die volle restliche Forderung von 957,00 Euro zuzüglich Zinsen seit Juli 2021 an Lektorat Unker überweisen. Und er trägt die gesamten Prozesskosten. Diese übersteigen noch den eigentlichen Streitwert.

Fazit – 7 Lektionen

Was kannst du aus der Geschichte mitnehmen und was nehme ich für mich mit?

  1. Du musst als selbständiger Textspezialist keine Angst vor Gerichtsprozessen haben! Selbst gegen Anwälte.
  2. Auch bei vergleichsweise kleinen Summen lohnt sich ein Prozess. Sei es auch nur, um dem eigenen Gerechtigkeitsbedürfnis zu genügen und daraus eine spannende Story bei Instagram zu machen.
  3. Urteile nicht zu früh: Selbst vermeintliche Betrüger können sich im Nachhinein als alte, verwirrte Leute herausstellen, die dir nichts Böses wollen.
  4. Mehr noch: Menschen, die du selbst absolut sicher für spitzfindige Betrüger hältst, können sich als welche entpuppen, die sich von dir – aufrichtig – betrogen fühlen.
  5. Kommuniziere immer transparent und eindeutig im Vorfeld über den Umfang der von dir angebotenen Dienstleistungen. Dabei kannst du gar nicht ausführlich genug sein. Sowohl auf deiner Website als auch in deinem Angebot. Selbst wenn der Kunde es nicht versteht, tut es im Zweifel ein Gericht.
  6. Wenn ich ein Gutachten beauftrage, kann ich die Honorarzahlung nicht mit der Begründung verweigern, dass mir das Ergebnis des Gutachtens missfällt und dass ich, wenn ich das Ergebnis vorher gewusst hätte, das Gutachten nicht in Auftrag gegeben hätte.
  7. Glaube nicht alles, was du selbst glaubst. Du kannst dich irren.

Evgenij Unker
30.06.2025

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