Wie ein Autor für eine Übersetzung dreimal so viel bezahlen musste wie nötig

Textagentur-Gründer und -Betreiber Evgenij Unker berichtet über einen Gerichtsprozess und teilt seine Erkenntnisse daraus mit anderen freiberuflichen Lektoren, Übersetzern, Autoren:

Lektorenausbilder Evgenij Unker am 30.06.2022 vor dem Landgericht Hildesheim.

Der Auftrag und der dümmste Fehler der Übersetzungsgeschichte

Ein Autor hatte Lektorat Unker im Jahr 2018 mit einer Übersetzung seines Romans, mit dem Lektorat der Übersetzung und der Formatierung als E-Book beauftragt.

Glück für den Autor: Die Kosten wollte sein Verlag übernehmen. Dieser überwies auch prompt die Hälfte der Summe als Anzahlung.

Mit der Übersetzung war der Kunde überglücklich. Als es an die Formatierung und das Lektorat ging, schoß ich den Vogel ab:

Ich verschickte aus Versehen eine unvollständige Datei an den Kunden, von der ich irrtümlich annahm, sie sei vollständig.

Erst auf meine Nachfrage hin teilte der Kunde mit, dass die Datei unvollständig sei und der Verlag sich daher für eine „andere Lösung“ entschieden habe.

Blöd nur, dass ich davon nichts wusste. Der Fehler hätte leicht behoben werden können, hätte sich der Kunde früher und überhaupt gemeldet.

Einigungsversuch und Gerichtsprozess

In Ordnung. Es war ja mein Fehler: Ich hatte aus Versehen eine unvollständige Datei verschickt und auch sonst hatte der Kunde länger als zugesagt warten müssen.

Ich entschuldigte mich für meinen Fehler und bot an, der Kunde möge die vollständig erfolgte Übersetzung vollständig bezahlen. Auf das Honorar für die unvollständige Formatierung und das Lektorat war ich bereit zu verzichten.

Später sogar auf einen Teil des Übersetzungs-Honorars. Mit einer Restzahlung von 5.000 Euro hätte der Kunde die Sache erledigen können.

Der Kunde verweigerte die Zahlung allerdings komplett und verwies auf seinen Verlag, der angeblich mein Vertragspartner sei.

Das Landgericht Hildesheim verdonnerte Ende 2023 den Autor dazu, die gesamte Übersetzung zu bezahlen und auch noch das Honorar für den Teil des Lektorats und der Formatierung, die der Kunde tatsächlich erhalten hatte.

Seine Berufung vor dem Oberlandesgericht Celle wurde im August 2024 abgewiesen.

Somit muss der Kunde am Ende mit fast 15.000 Euro dreimal so viel bezahlen, wie ursprünglich von mir vorgeschlagen.

Nach all den Jahren sind nämlich hohe Gerichts-, Anwalts- und Verzugskosten entstanden. Diese Kosten trägt wie üblich die unterlegene Seite: in diesem Fall also der Autor.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Urteil

  1. Als freiberuflicher Übersetzer, Lektor oder Layouter braucht man manchmal einen langen Atem und einen finanziellen Puffer. Oder eine seriöse Agentur, die das Honorar auch dann auszahlt, wenn der Kunde seinerseits nicht bezahlt. Von dem Auftrag im Jahr 2018 bis zur Zahlung im Jahr 2024 vergingen ganze sechs Jahre! Lektorat Unker bezahlte zeitnah alle freien Kollegen (Übersetzer, Lektor, Layouter), wartete sechs Jahre auf sein Geld und musste auch noch die Gerichts- und Anwaltskosten vorschießen.
  2. Die bloße Mitteilung, der Verlag werde die Kosten übernehmen, reicht nicht aus, damit der Verlag Vertragspartner des Dienstleisters wird. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Verlag die Hälfte des vereinbarten Gesamthonorars als Anzahlung überwies. Die gesamte Korrespondenz und die Verhandlungen verliefen in diesem Fall zwischen Lektorat Unker und dem Autor bzw. dessen Assistentin. Der Autor trat immer als der eigentliche Entscheider auf. Bei der Kostenübernahme durch den Verlag kann es sich also höchstens um eine interne Vereinbarung zwischen Verlag und Autor handeln, die den Dienstleister – also Lektorat Unker – nicht betrifft.
  3. Eine Romanübersetzung ist ein Werkvertrag, kein Dienstvertrag. Beim Werkvertrag wird die vollständige Leistung, nicht die Arbeitszeit geschuldet.
  4. Vor Abnahme des Werks kann der Auftraggeber (der Autor) den Vertrag mit dem Auftragnehmer (mit Lektorat Unker) jederzeit kündigen. In diesem Fall kündigte der Autor den Vertrag durch seine Mitteilung, der Verlag habe sich für eine andere Lösung entschieden.
  5. Nach einer solchen Kündigung schuldet der Auftraggeber (der Autor) dem Auftragnehmer (Lektorat Unker) die vereinbarte Vergütung in voller Höhe. Abgezogen werden lediglich die unstrittig ersparten Aufwendungen. In diesem Fall waren es nach Ansicht des Gerichts nur einige hundert Euro für das unvollständige Lektorat.
  6. Weitere Gewährleistungs- bzw. Minderungsansprüche hat der Auftraggeber (der Autor) in diesem Fall nicht. Dafür hätte er explizit Nacherfüllung verlangen und eine Frist setzen müssen. Das geschah in diesem Fall nicht. Im Gegenteil, der Autor lobte die Übersetzung explizit. Das Geltendmachen von Mängelrechten wegen unfertiger Leistungen (in diesem Fall Lektorat und Formatierung) ist ohnehin juristisch nicht möglich.

Fazit – zwei Gewinner

Letztlich muss der Autor fast den vollen geschuldeten Betrag bezahlen, alle Gerichts- und Anwaltskosten sowie die über mehrere Jahre angelaufenen Zinsen.

Damit hat der Autor am Ende dreimal so viel bezahlt, wie wenn er sich auf mein ursprüngliches Güteangebot eingelassen hätte.

Und ich hatte dreihundert Mal mehr Aufwand mit dem Gerichtsprozess, wie wenn ich dem Autor gleich die vollständige Datei geschickt hätte.

Am Ende gewannen also beide. An Erfahrung.

Evgenij Unker, 01.11.2024

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