Michelle Szellas stellt das Prequel zu der Erfolgsreihe „Die Tribute von Panem“ vor. Diesmal liegt der Fokus auf Haymitch Abernathy, der in der Hauptreihe als Mentor der Protagonistin Katniss Everdeen in Erscheinung tritt.

Mit Vorurteilen zur Lektüre

Das Buch ist bereits die zweite Vorgeschichte zur Haupttrilogie. Nachdem mich die andere Vorgeschichte rund um Präsident Snow („Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange“) nicht wirklich überzeugen kann, bin ich diesem Buch gegenüber eher skeptisch eingestellt.

Zumindest bis ich eine elfminütige Sprachnachricht von einer meiner besten Freundinnen bekomme. Sie sei zwar erst bei Kapitel 4, aber bereits komplett in Tränen aufgelöst und sichtlich mitgenommen. Sie bittet mich, das Buch vor unserem nächsten Treffen ebenfalls zu lesen, damit wir uns darüber austauschen können – und wie kann ich ihr das abschlagen?

Haymitch Abernathy mit 17

In diesem Buch kehren wir zu den 50. Hungerspielen nach Distrikt 12 zurück. Haymitch ist noch ein junger Mann, der sich mit dem fahrenden Volk – den sogenannten „Covey“ – angefreundet hat und eine von ihnen heiraten möchte.
Bis er am Tag der Ernte, an welchem jene Kinder bestimmt werden, die in die Arena geschickt werden und der auch noch sein 17. Geburtstag ist, auf sehr unfaire Weise Als Tribut auserwählt wird. Also dafür, in die Arena einzuziehen und sich mit den anderen Tributen der Distrikte bis auf den Tod zu bekämpfen.

Da dies ein besonderes „Jubel-Jubiläum“ ist, gibt es eine besondere Herausforderung: Doppelt so viele Tribute wie normalerweise werden in die Arena einziehen. Das heißt, statt 24 Tributen (aus jedem der 12 Distrikte ein Junge und ein Mädchen) werden 48 Tribute in die Arena geschickt, bis nur noch einer als Sieger am Leben ist.

Den Tributen stehen dafür vor den Spielen ihre Mentoren zur Seite, die ihnen beim Training helfen sollen und Überlebenstipps mit auf den Weg geben. Diese Mentoren sind normalerweise die Sieger aus den jeweiligen Distrikten der Tribute. Allerdings hat Distrikt 12 erst eine Siegerin, die auch noch verschwunden ist, sodass Sieger aus anderen Distrikten diesen Platz einnehmen müssen. Wer die anderen Bücher gelesen hat, wird diese kennen und sollte sich auf überraschende Erkenntnisse sowie bekannte Namen einstellen.

Überraschend und verstörend – Suzanne Collins in Bestform

Da Haymitch als Mentor in der Hauptreihe auftaucht, ist natürlich klar, dass er seine Spiele gewinnen wird. Doch obwohl ich alle anderen Bücher gelesen habe, packt mich die Grausamkeit der beschriebenen Szenen aufs Neue, überrascht und verstört mich. Einige der Tode im Buch sind nicht nur deshalb furchtbar, da man als Leser den Charakter ins Herz schließt und dann von seinem Tod überrascht oder berührt ist, sondern die schiere Grausamkeit, mit der das Capitol Menschen unnötig leiden lässt, um eine gute Show abzuliefern, ist wirklich erbarmungslos. Insbesondere, wie einfach über das Leben und den Tod anderer Menschen bestimmt wird, ist absolut unerträglich und herzzerreißend. Und ich möchte hier nicht zu viel spoilern, aber ich werde Eichhörnchen ab jetzt definitiv mit anderen Augen sehen ...

Es macht großen Spaß, tiefer in die Gedanken von Haymitch einzutauchen und eine neue Seite an ihm zu entdecken, ihn als Teenager kennen zu lernen, der nach und nach einige Zusammenhänge begreift und sich Mühe gibt, sich nicht vollkommen von den Hungerspielen verändern zu lassen. Um zu gewinnen, schmiedet er Allianzen und sucht sich Verbündete, auch wenn klar ist, dass er sie irgendwann wird auflösen müssen. Insbesondere die Allianz mit quasi all den anderen Tributen, die eher zu den Außenseitern gehören, berührt mich sehr und erinnert mich an die der Protagonistin der Hauptreihe, die ganz ähnlich handelt. Insbesondere seine Verzweiflung und seine Wut darauf, was nicht mit ihm, sondern auch mit den anderen Tributen geschieht, ist sehr eindrücklich geschildert und ich kann sie sehr gut nachvollziehen.

Die Arena, in der die Tribute sich wiederfinden, ist paradiesisch schön: wunderschöne Blumen, betörende Düfte, niedliche Tiere. Leider ist alles davon tödlich, wie die Tribute schnell feststellen müssen - selbst das Wasser. Es ist faszinierend und packend zu lesen, wie Haymitch es schafft, zu überleben und sich die Eigenheiten der Arena zunutze zu machen. Seine Beobachtungsgabe rettet ihn einige Male vor dem sicheren Tod und er versucht, möglichst viele seiner Verbündeten in seine Erkenntnisse einzuweihen, um sie zu schützen - was ihm leider nicht in jeder Situation gelingt.

Besonders spannend für mich sind die Begegnungen mit den Charakteren, die ebenfalls in der Hauptreihe eine Rolle spielen. Auch sie lerne ich auf neue Art kennen und male mir aus, was mit ihnen passiert sein muss, dass sie sich in den 24 Jahren, die zwischen den Büchern liegen, so sehr verändern. Insbesondere die Geschichte von Mags, wie sie von einer starken, unbeirrbaren und selbstbewussten Frau zu einer alten und stummen Frau wird, die sich kaum auf den Beinen halten kann, beschäftigt mich sehr und ich wünsche mir viel mehr Informationen über das, was ihr widerfahren ist. Auch die Zeit, bevor Haymitch in die Arena geschickt wird, gefällt mir sehr gut, da ich mehr über die Menschen von Distrikt 12 erfahre und vor allem mehr über die besten Freunde von Haymitch - von denen einer so schön singen kann, dass sogar die Vögel verstummen.

Ich gewinne den Charakter von Haymitch sehr lieb und kann nachvollziehen, wie er von dem positiven und hoffnungsvollen jungen Mann zu dem zynischen und dem Alkohol verfallenen Erwachsenen wird, den wir in der Haupttrilogie treffen, was abermals aufzeigt, was das Capitol und die Hungerspiele den Menschen antun, selbst wenn sie die Arena überleben.

Suzanne Collins schafft es abermals, den Leser in die düstere Dystopie zu entführen. Sie zeigt auf, was passieren kann, wenn die Macht bei den falschen Menschen liegt und diese sie missbrauchen, um andere zu unterdrücken. Die Sprache ist wie gewohnt auf den Punkt, die Szenen schnell und von Gewalt gezeichnet, die nicht beschönigt wird und mich einige Male bis ins Mark erschüttert. Die erneute Reise nach Panem begeistert und berührt mich emotional zutiefst - und lässt mich mit dem brennenden Wunsch nach einem weiteren Teil zurück.

Leider kam das Treffen mit meiner Freundin bisher nicht zustande, aber ich bin auf jeden Fall mehr als gespannt, was sie alles zum Buch zu sagen hat und ob wir uns einig sind oder doch eher nicht. Tatsächlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich bereits beim 4. Kapitel so aufgelöst war wie sie, aber definitiv war ich es im Verlauf des Buches - inklusive Tränen.

Das Buch

  • Collins, Suzanne: Die Tribute von Panem L – Der Tag bricht an (Originaltitel: Sunrise on the Reaping). Aus dem Englischen übersetzt von Sylke Hachmeister und Peter Klöss. Oetinger 2025.

Die übrigen Bände der Reihe

  • Collins, Suzanne: Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele (Originaltitel: The Hunger Games). Aus dem Englischen übersetzt von Sylke Hachmeister und Peter Klöss. Oetinger 2009.
  • Collins, Suzanne: Die Tribute von Panem – Gefährliche Liebe (Originaltitel: Catching Fire). Aus dem Englischen übersetzt von Sylke Hachmeister und Peter Klöss. Oetinger 2010.
  • Collins, Suzanne: Die Tribute von Panem – Flammender Zorn (Originaltitel: Mockingjay). Aus dem Englischen übersetzt von Sylke Hachmeister und Peter Klöss. Oetinger 2011.
  • Collins, Suzanne: Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange (Originaltitel: Sunrise on the Reaping). Aus dem Englischen übersetzt von Sylke Hachmeister und Peter Klöss. Oetinger 2020.

Michelle Szellas
05.05.2025, aktualisiert am 07.05.2025

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