Unsere Rezensentin Michelle Szellas empfiehlt die Urban-Fantasy-Reihe von Royce Buckingham. Los geht es mit dem ersten Band: „Im Zweifel für das Monster“.
Ein Anwalt mit ungewöhnlichen Mandanten
Daniel Becker ist Anwalt mit durchaus flexibler Moral - er vertritt beispielsweise eine Firma für Vapes, nach denen so viele Jugendliche abhängig sind, deren Vapes beim Rauchen explodiert sind und den Jugendlichen Teile des Gesichts weggesprengt haben, andere haben sich der Klage angeschlossen, da es Lungenschädigungen gab. Der Fall ist eindeutig und auch Becker weiß das. Dennoch verdreht er die Tatsachen und gräbt Ungereimtheiten rund um die behandelnden Ärzte und geschädigten Familien aus, um die Schuld von seinem Mandanten abzuweisen, denn er möchte sich auch in seiner Kanzlei beweisen und gerne Partner werden. Er lebt in Scheidung und aufgrund dessen auf seinem Hausboot in Seattle. Dabei versucht er, seiner Teenagertochter Lucy trotz allem ein guter Vater zu sein und nebenbei seiner lukrativen Karriere nachzugehen.
Als er eines Tages nach Hause (oder vielmehr: auf sein Boot) kommt, trifft er seinen ärgsten Widersacher aus seiner Kindheit wieder: das Monster unter seinem Bett. Nach einigen Versuchen, sich einzureden, dass das gar nicht sein könne und Monster nicht existierten und er bestimmt gerade wahnsinnig würde, muss Daniel Becker sich eingestehen: Das Monster ist real. Und hört auf den Namen Brett.
Außerdem will es ihn als Anwalt engagieren, da es zu Unrecht verdächtigt wird, die magische Welt entblößt zu haben, während er ein Kind ermordete (das Töten per se wäre übrigens kein Unrecht, es ist nur problematisch, dass der Tatort mit Runen aus Blut verziert ist und stark nach magischem Ritualmord aussieht). Nachdem der erste Schock verdaut und die erste Verwirrung überstanden ist, macht Daniel sich ans Werk – und gewinnt sogar den Fall und das obwohl er sich in Anwesenheit der vielen Monster, die sich den Prozess angucken wollen, fürchtet - insbesondere, nachdem er sieht, wie die vor ihm in den Gerichtsstand tretende Gnomin zerfetzt wird. Auch der Richter, der Donnervogel, ist überaus monströs und furchteinflößend. Nach dem Prozess bleibt dennoch die Frage offen, wer das Kind denn eigentlich getötet hat, wenn es Brett nicht war?
Daniel ist trotzdem mehr als froh, dass er mit dem Monster abschließen kann, und will zurück in sein normales Leben. Doch daraus wird leider nichts. Es spricht sich in der Monsterwelt schnell herum, was er getan hat. Fortan möchten ihn noch viel mehr magische und mystische Kreaturen als Anwalt engagieren, bspw. eine Fee, deren Baum in Gefahr ist. Daniel wird klar, dass er in vielen Fällen über ganz normale rechtliche Wege helfen kann, denn um den Baum der Fee zu retten, muss er lediglich eine Beschwerde bei der Bauaufsicht einlegen - was die Fee selbst natürlich auch nie könnte, da sie ja eigentlich gar nicht existieren dürfte in der Menschenwelt. Nach und nach arrangiert er sich mit den Monstern und Fabelwesen und freundet sich gar mit einigen von ihnen an. Und als auch noch sein Privatleben von etwas Übernatürlichem heimgesucht wird, ist er bereits mittendrin im Abenteuer.
Kurzweilige Lektüre und eine erfreuliche Charakterentwicklung
Ich erwarte vor dem Lesen erst skurrile Gerichtssituationen. Tatsächlich ist die Geschichte mehr wie ein Krimi aufgebaut, mit Verdächtigen, Tatorten und Ermittlungen. Die pointierte Erzählweise und der bissige, dunkle Humor tragen zu einem sehr erfreulichen Lesevergnügen bei. Daniel Becker ist zynisch, sarkastisch und eigentlich genau so, wie man sich einen fiesen Anwalt vorstellt.
Der Protagonist ist kein Sympathieträger, sondern eher ein Arschloch mit schwierigen Moralansichten sowie der Angewohnheit, andere Menschen zu bodyshamen. Aber ich lese das Buch dennoch mit viel Freude, denn ich schließe Charaktere wie seine Tochter, seine Ex-Frau Eve oder das Monster Brett in mein Herz, die alle wesentlich empathischer als er sind, ihm aber auch Paroli bieten, woraus sich witzige Dialoge entwickeln.
In der Urban Fantasy kommen nicht nur Monster vor, auch Hexen, Wer-Wesen und andere Kreaturen. Die Charaktere sind facettenreich und besonders die Entwicklung von Daniel Becker hin zu einem zumindest annähernd empathischen Menschen gefällt mir. Ich erwarte mit Spannung das Erscheinen jeder neuen mystischen Kreatur – und werde kein einziges Mal enttäuscht. Denn auch jedes Monster, jede mystische Kreatur hat ihren ganz eigenen Charakter, Hintergrundstory und Probleme, die sie zu Daniel Becker führen. Besonders angetan hat es mir der sprechende Hund Dennis, der sich aufgrund des Ablebens seines Besitzers nach einer neuen Bleibe umsehen muss und den Becker zudem dabei unterstützt, das Erbe seines verstorbenen Herrchens zu bekommen.
Im nachfolgenden Band eröffnet Daniel Becker seine eigene Kanzlei für seine besonderen Mandanten. Dennoch sehnt er sich an manchen Tagen danach, doch wieder ganz normale Menschen vertreten zu können. Als ihn eines Tages die Bürgermeisterin von Seattle aufsucht, hofft er auf einen normalen und menschlichen Fall. Leider wird er bitter enttäuscht, denn die Bürgermeisterin benötigt seine Dienste, um Seattle vor der Zerstörung eines uralten Wesens mit vielen Tentakeln zu bewahren ...
Der Autor
Royce Buckingham ist selbst Anwalt und als er auf die Idee kam, einen Fantasy-Roman mit Krimi-Anteilen zu schreiben, entschied er sich deshalb für einen Anwalt statt eines Detektivs oder einer ähnlich klassischen Figur als Protagonisten. Dass der Autor selbst praktische Erfahrung als Anwalt hat, merkt man meiner Meinung nach dem Buch sehr an und trägt zum Lesevergnügen bei.
Das Buch
- Buckingham, Royce: Im Zweifel für das Monster. Übersetzt von: Hans Link. Blanvalet, 2022.
Weitere Bände der Reihe
- Buckingham, Royce: Monsteranwalt. Blanvalet, 2023.
- Buckingham, Royce: Anwälte und andere Monster. Blanvalet, 2025. (erscheint im September)
Michelle Szellas
30.06.2025, aktualisiert am 10.07.2025
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