Effektiv übersetzen

Als Betreiber einer Übersetzungsagentur verfüge ich über viele Jahre Erfahrung beim Übertragen von Geschriebenem aus einer Sprache in eine andere. Die folgenden Tipps richten sich vor allem an nicht-professionelle Übersetzer und Berufsanfänger.

Übersichtsgrafik mit den wichtigsten Tipps zum erfolgreichen Übersetzen von Texten aus einer Sprache in eine andere.
Die wichtigsten Tipps zum Übersetzen: links unten die Tipps, die vor dem eigentlichen Übersetzen beherzigt werden sollten; in der Mitte der Grafik: Tipps zum eigentlichen Übersetzungsprozess; und oben rechts die Tipps zur Nachbereitung.

Klicken Sie auf eines der folgenden Themen, um direkt zum jeweiligen Kapitel zu springen:

Übersetzen ist Texterschaffung

Vielen unerfahrenen Sprachmittlern ist nicht klar: Übersetzen ist eine Form des Textens. Wenn Sie sich grundsätzlich beim Schreiben von Texten unwohl fühlen, werden Sie auch kaum gute Übersetzungen anfertigen können. Nicht selten ist das Übersetzen aber noch schwieriger als Texten.

Denn: In den meisten Fällen bestimmen Sie beim Schreiben eigener Texte über Inhalt, Aufbau, Stil und Aussage. Sie können sich auf Ihre Sprachkenntnisse verlassen – denn außer vielleicht bei dem einen oder anderen Fremdwort, das Sie nachschlagen müssen, beschränken Sie sich mit dem Ihnen zur Verfügung stehenden Wortschatz.

Bei Übersetzungen geht es dagegen meist um die Übernahme und gleichsam Neuerschaffung von fremden Inhalten und Stilen. Sie müssen also noch eine Kreativitätsstufe höher schalten.

Sprachkenntnisse

In der Übersetzungsbranche hat sich das Übersetzen ausschließlich in die Muttersprache als am effektivsten erwiesen. So ist sichergestellt, dass der Zieltext authentisch wirkt und verständlich bleibt. Auch der Korrektor, der die Übersetzung gegebenenfalls noch einmal vor dem Verschicken an den Kunden prüft, hat dann weniger zu tun.

Nicht banal ist die Frage nach der Beherrschung der Ausgangssprache. Unerfahrene Sprecher und Übersetzer lassen sich zum Beispiel leicht durch „falsche Freunde“ täuschen: Wörter oder Redensarten in der fremden Sprache, die an Bekanntes in der eigenen Sprache erinnern, in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes bedeuten. Beispiel: engl. become ≠ dt. bekommen. Fatale Übersetzungsfehler sind die Folge. Wikipedia hält eine Liste von falschen Freunden für einige populäre Sprachkombinationen bereit.

Daher sollten Sie sich ehrlich die Frage beantworten, ob Ihre Sprachkompetenzen tatsächlich für die in Frage stehende Übersetzungsaufgabe ausreichen. Es ist häufig billiger und zeitsparender, gleich einen Profi mit der Übersetzung zu beauftragen als anschließend den selbst holprig oder falsch übersetzten Text gegenprüfen zu lassen.

Fachkenntnisse

Insbesondere bei Fachtexten sollten Sie mit sich selbst abklären, ob Sie fachlich auf der Höhe sind. Verstehen Sie wirklich jedes Wort und jede Aussage des Textes?

Wenn Sie etwa das Wort „Stuhl“ im medizinischen Kontext als Möbelstück missdeuten, wird es schnell peinlich – und gefährlich. Im Zweifel hängt ein Menschenleben davon ab.

In diesem Fall sollten Sie entweder einen Fachmann/Fachlektor hinzuziehen oder sich unbedingt zuerst mit dem Fachgebiet vertraut machen.

Textart

Der eine kommt besser mit Werbetexten zurecht, dem anderen liegen eher sachliche Geschäftsbriefe. Ein hervorragender Jurist kann sich mit Gedichten überfordert fühlen. Auch bei der Wahl der Textsorte sollten Sie sich also fragen, ob genügende Affinität und Erfahrungen vorhanden sind.

Vorsicht ist etwa bei der Übersetzung von Urkunden geboten. Meistens fordern Behörden bei Dokumenten wie Geburtsurkunden und Heiratsurkunden beglaubigte Übersetzungen. Das sind Übersetzungen, deren Richtigkeit von sogenannten „ermächtigten“, „staatlich anerkannten“ oder „vereidigten“ Übersetzern bestätigt wurde. Die genaue Bezeichnung weicht von Land zu Land und sogar von Bundesland zu Bundesland ab.

Zielgruppe

Von Bedeutung ist der Zweck der Übersetzung. An eine Übertragung für den internen Gebrauch in der Familie oder der Firma dürften geringere Anforderungen gestellt werden als an eine Werbebroschüre, die von potenziellen Kunden gelesen wird.

Ein zu veröffentlichendes Buch wird andere Qualitätssicherungsmaßnahmen erfordern als eine Übersetzung allein für das eigene Verständnis oder zum Üben.

Fragen Sie also Ihren Auftraggeber, wie die Übersetzung benutzt werden soll.

Übersetzungsmethode

Von der Zielgruppe und dem Zweck der Übersetzung hängt die Wahl der Übersetzungsmethode ab. Unterschieden werden unter anderem folgende Arten:

  • Maschinelle Übersetzung. Es gibt inzwischen bereits zahlreiche Programme und Websites, die automatische Übersetzungen anbieten. Leider sind die Ergebnisse trotz permanenter Fortschritte bei der Übersetzungssoftware immer noch höchstens für den eigenen Gebrauch geeignet. Das Resultat ist oft unverständlich oder schlicht falsch. Zur ersten Orientierung können jedoch auch Computerübersetzungen hilfreich sein.
  • Computerunterstützte Übersetzung. Im Englischen lautet der Fachausdruck Computer-Aided Translation, abgekürzt CAT. Hier übernimmt der Computer Teilaufgaben, wie etwa die Begriffsvereinheitlichung und die Übersetzung sich wiederholender Textpassagen. Natürlich sind auch Mischformen zwischen CAT- und maschinellen Verfahren verbreitet. Populäre CAT-Tools sind zum Beispiel Across, SDL Trados, memoQ oder Wordfast.
  • Wörtliche Übersetzung (fachsprachlich: Interlinearübersetzung). Wort-für-Wort-Übersetzungen, ob von Menschen oder Computern ausgeführt, eignen sich nur für sehr spezielle Zwecke: zum Lernen von Fremdsprachen oder als Grundlage für weitere Übersetzungen oder Bearbeitungen.
  • Sinngemäße Übersetzung. Bei den meisten Übersetzungen handelt es sich um sinngemäße Übersetzungen. Hierbei wird nicht Wort für Wort, sondern Satz für Satz oder Absatz für Absatz übersetzt. Dadurch klingen die übersetzten Texte authentischer und lesen sich im Idealfall wie originär in der Zielsprache geschriebene Texte.
  • Adaption. Eine noch anspruchsvollere Übersetzungsform ist die Adaption, häufig Lokalisierung genannt. Übertragen wird dabei weniger der Originaltext, sondern seine Wirkung. Es kann vorkommen, dass die gewünschte Aussage von Kultur zu Kultur unterschiedlich ausfallen muss, sodass nicht nur der Stil, sondern auch der Inhalt geändert wird. Verbreitet ist diese Übersetzungsform insbesondere in der Werbebranche, zum Beispiel bei Werbesprüchen oder Anzeigen.

Tricks

Sie sehen: Bevor es mit der eigentlichen Übersetzung losgehen kann, mussten schon sehr viele Fragen geklärt und einige Entscheidungen getroffen werden.

Folgende Tricks erweisen sich immer wieder als hilfreich bei der eigentlichen Übersetzungsarbeit:

  • Text einmal komplett lesen. Bevor Sie sich an die Übersetzung machen, sollten Sie den zu übersetzenden Text einmal komplett durchlesen. Nur so können Sie mehrdeutig erscheinende Passagen mit dem Wissen um die Gesamtaussage richtig interpretieren.
  • Recherchieren zum Thema: Wenn Sie mit dem Thema nicht vertraut sind, sollten Sie sich Zeit nehmen, um sich zu informieren und insbesondere sich auch das Vokabular anzueignen. Je nach Komplexität des Themas kann eine oberflächliche Internetrecherche genügen. Nicht selten werden Sie aber auch an der Lektüre von Fachbüchern nicht vorbeikommen.
  • Legen Sie ein Glossar an. Insbesondere Fachbegriffe sollten Sie korrekt und einheitlich übersetzen. Um das zu erreichen, hilft eine eigens dafür angelegte Wortliste. Bei der Terminologiearbeit sind CAT-Tools hilfreich. Zur Not tut es eine Liste im Texteditor. Auch der Kunde und andere Kollegen, wie etwa der Korrektor, werden es Ihnen danken, wenn Sie ihnen Ihre Vokabelliste zur Verfügung stellen.
  • Gestehen Sie sich Schwierigkeiten rechtzeitig ein. Wenn Sie nach der Erstlektüre und Ihrer Recherche den Ausgangstext immer noch nicht verstehen, sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob Sie tatsächlich der richtige Übersetzer für den Text sind. Mit etwas Glück finden Sie einen Kollegen, der Ihnen aus der Patsche hilft und zumindest bei unklaren Stellen berät. Anderenfalls sollten Sie so fair sein, Ihrem Auftraggeber (Kunden, Arbeitgeber, Kollegen o. Ä.) frühzeitig mitzuteilen, dass Sie an Ihre Grenzen gestoßen sind. So kann der Auftraggeber vielleicht noch selbst Ersatz finden. Er wird Ihnen Ihre Ehrlichkeit und Ihre Professionalität positiv anrechnen.
  • Übersetzen Sie Absatz für Absatz, nicht Wort für Wort. Natürlich kann es bei einzelnen Übersetzungen auf Originaltreue ankommen, sodass tatsächlich eine Wort-für-Wort- oder zumindest Satz-für-Satz-Übersetzung sinnvoll ist. In allen anderen Fällen wird aber Ihre Übersetzung viel authentischer wirken, wenn Sie den Text in Sinneinheiten von mehreren Sätzen zusammenfassen und entsprechend übersetzen.
  • Fassen Sie den Sinn in eigenen Worten zusammen. Denken Sie daran: Übersetzen ist Texten. Vermeiden Sie es, zu nah an der Wortwahl und der grammatischen Struktur des Originaltextes zu kleben. Formulieren Sie frei in eigenen Worten. So können Sie viel eleganter die Schwierigkeiten fehlender Wortentsprechungen oder grammatischer Strukturen umschiffen.

Zeitplanung

Übersetzen braucht viel Zeit, meist viel länger, als man denkt. Profi-Übersetzer schaffen im Normalfall höchstens 2.000 bis 3.000 Wörter am Tag. Das sind gerade mal acht Seiten Text.

Und sie müssen wirklich einen ganzen Arbeitstag dafür durcharbeiten. Weniger erfahrene Kollegen schaffen womöglich nur eine Seite am Tag.

Korrekturlesen

Profis schicken selten ihre Übersetzung direkt an den Endanwender. Die Übersetzung sollte immer noch von einem weiteren Muttersprachler zumindest auf Orthografie, Grammatik und Zeichensetzung überprüft werden. Man spricht vom Vier-Augen-Prinzip.

Wenn dies aber nicht möglich ist (und auch dann), sollten Sie zumindest selbst Ihre Übersetzung immer Korrektur lesen. Am besten in einem zeitlichen Abstand und mehrmals.

Wie Sie beim Korrigieren am besten vorgehen, erfahren Sie in unserem Korrekturratgeber.

Evgenij Unker, 22.05.2018, zuletzt aktualisiert am 19.12.2018

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Kommentar von Gabriele Eckhardt |

Das ist eine sehr hilfreiche Anleitung, vielen Dank dafür. Ich finde es schwer, die richtige Balance zwischen sinngemäßer und wörtlicher Übersetzung zu finden. Viele Kunden legen Wert darauf, dass der Sinn genau wie in der Ausgangssprache erhalten bleibt, wollen aber gleichzeitig eine gut lesbare, adaptierte Version in der Zielsprache.

Kommentar von Lektorat Unker | Evgenij Unker |

@Gabriele Eckhardt: Das ist in der Tat nicht immer einfach. In solchen Fällen kann man in zwei Schritten übersetzen. Zuerst recht nah am Original, um sicherzugehen, dass der Inhalt 1:1 übernommen wurde. Anschließend überarbeitet man den Text stilistisch (oder lässt ihn von einem Kollegen überarbeiten), ohne den Inhalt zu verändern, sodass der Text flüssiger zu lesen ist. Das braucht aber natürlich mehr Zeit.

Kommentar von Ferdinand Schneider |

Für meine Arbeit muss ich manchmal bestimmte Texte übersetzen. Ich bin kein Profi, aber ich spreche das beste Englisch von allen. Tipps sind jedoch immer willkommen. Eine gute Idee erstmal den Text komplett durchzulesen und Absatz für Absatz zu übersetzen.
[Link vom Moderator entfernt]

Kommentar von Lektorat Unker | Evgenij Unker |

@Ferdinand Schneider: Danke für Ihren Kommentar. Den Link am Ende Ihres Kommentars habe ich wegen Werbung bzw. als themenfremd gelöscht. Vielleicht ist er auch nur aus Versehen dahin geraten.

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