Ghostwriter und Plagiate entwerten Hochschulabschlüsse –
Bildungspolitiker und Hochschulen müssen Prüfungsordnungen konkretisieren

von Evgenij Unker, 07.03.2017

Plagiate von Prominenten sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Falsche Zitierweisen, passagenweise Übernahmen aus anderen Texten und fehlende Quellenangaben finden sich in vielen akademischen Arbeiten. Von Ghostwritern verfasste Master-Thesen oder Dissertationen sind gefragt wie noch nie. Immer mehr Agenturen, teilweise aus dem Ausland, bieten Akademikern ihre Dienstleistungen an. Die Folge: bröckelndes Vertrauen in Prüfungsleistungen. Die Ursachen liegen im Prüfungssystem der deutschen Hochschulen. Evgenij Unker, Lektor und Plagiatsprüfer, geht dem Problem auf den Grund.

Das Telefon klingelt, eine Frau ist dran: „Ich muss für die Uni einige Essays schreiben. Könnten Sie das für mich übernehmen?“ „Tut mir leid, wir bieten kein akademisches Ghostwriting an.“ „Das ist doch kein akademisches Ghostwriting!?“ Die Frau klingt erschrocken. Versteht sie erst in diesem Moment, was sie plant? Oder bekommt sie erst Angst, als jemand das Kind beim Namen nennt? Jedenfalls kann die Frau nicht erklären, was es denn sonst sein soll. Schnell beendet sie das Gespräch.

Immerhin scheint die Anruferin in diesem Fall gehört zu haben, dass akademisches Ghostwriting nicht ganz koscher ist. Anderen fehlt das Unrechtsbewusstsein völlig. Sie wenden sich einfach an eine andere Agentur. Schließlich gibt es davon eine ganze Menge. Die Dienstleister werben ganz offen und geradezu aggressiv, dass ihre zumeist freien Autoren Dissertationen, Masterarbeiten und Bachelorarbeiten auf Bestellung anfertigen.

Die meisten akademischen Ghostwriter behaupten, nur „Vorlagen“ und „Musterarbeiten“ zu liefern. Dabei ist das Internet voll von Arbeitsbeispielen fleißiger Studierender. Kostenlos oder für ganz wenig Geld bietet zum Beispiel hausarbeiten.de Abschlussarbeiten zu fast jedem Thema an. Ganz zu schweigen von einer schier unüberschaubaren Menge Forschungsliteratur, die jede Unibibliothek führt.

Wer plagiiert, gibt eine falsche eidesstattliche Versicherung ab

Die Rechtslage ist eindeutig: § 156 Strafgesetzbuch (StGB) stellt die falsche Versicherung an Eides statt unter Strafe. Demnach kann ein Studierender, der eine wahrheitswidrige eidesstattliche Erklärung zur Urheberschaft seiner Examensarbeit abgibt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Erfasst sind damit sowohl Plagiate als auch die Zuhilfenahme eines Ghostwriters. Der Gehilfe, in diesem Fall der Ghostwriter, kann gemäß § 27 StGB ebenfalls bestraft werden.

Nach den meisten Prüfungsordnungen muss der Prüfling mit einer solchen Erklärung versichern, dass er die vorgelegte Prüfungsleistung selbst erbracht und keine weiteren außer den angegebenen Hilfsmitteln benutzt hat. Wie sieht aber die Realität aus? Natürlich benutzen Erstsemester genauso wie Postgraduierte und Doktoranden für das Verfassen ihrer Arbeiten Literaturquellen, die sie nicht angeben, weil sie sie nicht zitieren. Nach den meisten Richtlinien für das Verfassen von Abschlussarbeiten dürfen sie solche Quellen nicht einmal angeben.

Es ist gängige Praxis, Abschlussarbeiten vor der Abgabe von einem Freund oder Profi korrigieren zu lassen. Und natürlich diskutieren Kommilitonen in Arbeitsgruppen, geben sich Tipps und helfen einander. Mit etwas Glück finden Studierende auch einen Betreuer an der Hochschule, der die Grenze der zulässigen Hilfe gern überschreitet. Kaum ein Student dürfte also die eidesstaatliche Versicherung unterschreiben, wenn er sie wörtlich und ernst nimmt.

Wie kommt es aber, dass geltendes Recht de facto nicht angewandt wird? Wie kann es sein, dass plagiiert und mit Hilfe akademischer Ghostwriter promoviert wird? Und warum kocht die öffentliche Empörung nur bei prominenten Fälschern hoch? Abgesehen von einzelnen prominenten Fällen, die mit dem Rücktritt von öffentlichen Ämtern endeten, unternehmen Politik und Wissenschaftsbetrieb zu wenig, um Prüfungsbetrug einen Riegel vorzuschieben.

Wie realitätsnah sind Prüfungsordnungen?

In meiner Laufbahn als Lektor und Plagiatsprüfer habe ich hunderte Prüfungsordnungen und Richtlinien für das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten für Studierende und Doktoranden gelesen. Die Bedingung der Eigenleistung enthält jede. In keiner einzigen wird jedoch der Begriff Eigenleistung präzisiert. Es fehlt eine exakte Definition, was die Eigenleistung positiv und negativ von der unzulässigen Fremdleistung abgrenzt.

Unsicherheiten sind die Folge. Die Studenten wissen nicht:

  • Darf ich meine Masterarbeit einer professionellen Korrektur unterziehen lassen?
  • Ist es erlaubt, meiner Bachelorthesis ein professionelles Layout verpassen zu lassen?
  • Kann ich Grafiken und Tabellen für meine empirische Studienarbeit von einem Layouter gestalten lassen?
  • Nicht-Muttersprachler fragen sich oft, ob sie ihre Arbeit auch in ihrer eigenen Sprache schreiben dürfen, um sie dann übersetzen zu lassen. Schließlich hätten sie dann die Arbeit ja formal immer noch selbst angefertigt.

Auf Nachfrage erhalten Studierende von den Fachbereichen und Prüfungskommissionen unterschiedliche, teils widersprüchliche, vor allem aber genauso unsichere und verunsichernde Antworten. Denn das Schlimmste ist: Auch die meisten Prüfer wissen nicht, was und wie sie bewerten sollen. Sollen sie ausschließlich die inhaltliche Leistung bewerten? Und welchen Einfluss auf die Note haben Aufbau und Argumentationsgang? Was ist mit der Formatierung und der Rechtschreibung?

Klare Bewertungskriterien haben auch die meisten Prüfer nämlich nicht. Und sie wissen, dass viele Studenten externe Hilfe in Anspruch nehmen. Am Ende bewertet jeder Prüfer sehr subjektiv nach eigenen Vorlieben. Die Hochschulen müssen eine Antwort finden auf die Fragen: Wie realitätsnah sind die Prüfungsordnungen? Und wie realitätsfern sollen sie bleiben?

Ab wann liegt keine Eigenleistung mehr vor?

Muss jeder Mathematiker absolut stil- und kommasicher sein? Darf ein Prüfer es einem angehenden Germanisten durchgehen lassen, wenn Orthografie und Interpunktion mangelhaft sind? Muss jeder Ingenieur seine Diplomarbeit einwandfrei layouten können? Muss der Laborforscher seine empirischen Erkenntnisse überhaupt selbst druckreif ausformulieren können oder darf er damit einen Ghostwriter beauftragen?

Schließlich erscheint keine einzige seriöse Publikation in der Wissenschaft, in der Presse, in der freien Wirtschaft und in der Politik, ohne dass sie ein Lektor korrigiert hat. An Werbebroschüren arbeiten Agenturen mit Grafikern, Layoutern, Übersetzern, Werbetextern und Korrekturlesern. Bei Fachbüchern sind oft mehrere Fachredakteure und Korrektoren beteiligt. Politiker tragen häufig von Redenschreibern verfasste Reden vor. Niemand hält das alles für verwerflich. Oder doch?

Bildungspolitiker und Hochschulen sind gefragt

Die Prüfungsregeln und -anforderungen müssen auf den Prüfstand. Studierende und Prüfer brauchen Transparenz bei der Frage, welche Unterstützung bei der Anfertigung akademischer Leistungen zulässig ist. Denn nur so können sich bei Studierenden und Lehrenden das akademische Rechtsbewusstsein und eine wissenschaftliche Ethik entwickeln und festigen. Und das scheint angesichts aktueller Fälle wie in Münster dringend notwendig. Im Februar 2017 mussten dort acht Mediziner ihren Doktortitel aufgrund nachgewiesener Plagiate abgeben. Weitere 14 Mediziner erhielten eine Rüge. Dem Doktorvater wurde das Promotionsrecht entzogen.

Die Plagiatsfälle haben Misstrauen gegen Akademiker und Wissenschaftsverdrossenheit nachhaltig gesteigert. Doktortitel, Abschlusszeugnisse und Diplome werden inzwischen pauschal hinterfragt. Nicht nur Personalverantwortliche in den Unternehmen misstrauen den Nachweisen akademischer Kompetenz. Viele Arbeitgeber verlassen sich längst nicht mehr nur auf die Noten und Titel der Bewerber. Mit immer neuen und kostspieligen Tests, Leistungsdiagnostik und Auswahlkriterien sichern sich die Personaler ab.

Insgesamt ergibt sich also ein absurdes Bild: Die einen lassen dubiose Agenturen für sich Abschlussarbeiten verfassen. Die anderen beauftragen Agenturen damit, wissenschaftliches Fehlerverhalten, etwa das Vorliegen von Zitierfehlern oder Plagiaten, nachzuweisen. Es fehlte nur noch, auch die Benotung von Prüfungsleistungen und die Prüfung der Prüfer Agenturen zu übertragen. Um diese Unsicherheiten in der akademischen Welt zu beseitigen, sind Bildungspolitiker und die Hochschulen gefragt, die Regeln für die akademische Leistungserbringung zu konkretisieren und zu modernisieren.

Über den Autor

Evgenij Unker betreibt seit 2011 die Textagentur Lektorat Unker (www.unker.com/de/). Mit seinem Team bietet er Korrektur-, Übersetzungs- und Texterstellungsdienste in zahlreichen Sprachen an. Akademisches Ghostwriting ist ausdrücklich nicht im Programm – dafür eine ganze Reihe anderer Hilfestellungen für Studierende und Prüfer. Plagiatskontrollen inbegriffen. Pro Jahr überprüft das Lektorat rund hundert akademische Arbeiten auf Plagiate und grobes wissenschaftliches Fehlverhalten.

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